Gericht: | OLG Karlsruhe 14. Zivilsenat |
Entscheidungsdatum: | 23.08.2023 |
Rechtskraft: | ja |
Aktenzeichen: | 14 W 144/21 (Wx) |
Dokumenttyp: | Beschluss |
Der Fall hat es in sich, menschlich und juristisch. Ein Schmankerl für Juristen, ein zu langer Sachverhalt für die Generation Tik-Tok, eine familiäre Schicksalsgeschichte, wie sie im Schnittbereich Erb- und Insolvenzrecht vorkommen.
Der Fall des OLG Karlsruhe lässt sich gut nachvollziehen, obwohl er komplex ist. Daher lohnt die Lektüre. Großartig: Der OLG-Senat hat mitmenschliche Anwandlungen (Ziff. II. 2 b der Entscheidung), er entscheidet für den Sohn der vom Schicksal wirklich schwer getroffenen Familie und gegen dessen Insolvenzverwalter. Die Richter zeigen sich unerwartet großzügig bei der Annahme eines Irrtums über die Zusammensetzung des Nachlasses. Damit werden knapp 300 TEUR der Familie des Sohnes, seinen Kindern, zugesprochen. Ein toller Erfolg, zu dem man dem Anwalt des Sohnes gratulieren möchte, der von 2004 – 2023, also fast 20 Jahre lang (!) streiten mußte, bevor seiner Familie mit der OLG-Entscheidung nun endlich etwas ausgleichender Gerechtigkeit widerfahre ist.
Die schicksalhafte Zeit der Herkunftsfamilie des Sohnes begann sogar schon 6 Jahre früher, im Jahr 1998, als die Mutter, die mit ihrem Mann ein Gasthaus in Offenburg führte, in Folge eines ärztlichen Eingriffs in der Uniklinik Freiburg in ein Koma fiel, aus dem sie bis zu ihrem Tod im Jahr 2018 nicht mehr erwachte (Dies zeigt, wie wichtig Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht sind). Man verklagte im Jahr 2004 die Klinik auf Schmerzensgeld von (mindestens) 200 TEUR. In dem Prozess gab es „zwei Durchgänge“ zurück an das Landgericht, bevor die nächste Instanz die Sache endgültig an sich zog. Das OLG holte ein Obergutachten ein, das noch 2x ergänzt werden musste, bevor es im Jahr 2018 zu Vergleichsgesprächen kam, die im Jahr 2020 zu einem Vergleich führten, demzufolge die Klinik 1,5 Mio. EUR (!) zahlte.
Diese Summe erhielt nicht die Familie der im Koma verstorbenen Mutter, sondern deren Insolvenzverwalter, der damit alle ihre Gläubiger zu 100% bedienen konnte. Über ihr Vermögen war im Jahr 2015 das Insolvenzverfahren eröffnet worden, ebenso über das Vermögen ihres Sohnes, der das Gasthaus fortgeführt hatte, nachdem die Mutter im Koma und ihr Mann verstorben war.
Nach dem Tod der Mutter im Jahr 2018 hatte der seit 2015 in Insolvenz befindliche Sohn das Erbe der Mutter angenommen, weil er davon ausging, dass der Nachlass überschuldet war. Er ging aufgrund der zur Insolvenztabelle der Mutter angemeldeten Forderungen nicht davon aus, dass der Prozess gegen die Klinik dazu führen würde, dass die Erbschaft werthaltig ist. Es kam aber anders: Da nur ca. 3/4 der Forderungen zur Tabelle festgestellt wurden, verblieb selbst nach Kosten und weiteren Forderungen ein Überschuss von 294.100 EUR, den der Insolvenzverwalter der verstorbenen Mutter bei Gericht hinterlegt hatte.
Daher berief sich nun der Sohn, der die Erbschaft im Glauben ihrer Überschuldung angenommen hatte, auf seinen Irrtum und erklärte form- und fristgerecht die Anfechtung seiner Erbannahme wegen Irrtums: Hätte er gewußt, dass die Erbschaft werthaltig ist, hätte er sie ausgeschlagen, damit seine drei Kinder das Erbe erhalten. Denn die Enkel hätten aufgrund der langjährigen, schweren Erkrankungen ihrer beider Großeltern keine gemeinsame Zeit verbringen können und sollten nun wenigstens deren Geld bekommen. Das hat der Sohn offenbar glaubhaft den OLG-Richtern vermittelt, die daher von seinem Irrtum überzeugt waren. Der Ansicht des Nachlassgerichts, „die Erfüllung von in der Vergangenheit begründeten Verbindlichkeiten hat Vorrang vor der Weitergabe des Vermögens in der Familie“ hat es im Hinblick auf die Rechtslage zu Recht eine Absage erteilt. Denn das Gesetz stellt die persönliche Entscheidungsfreiheit, ein Erbe anzunehmen oder auszuschlagen höher als die Belange der Gläubiger.